Nur Mama hat das Sagen
Wenn Mütter sagen: “Lass mal, ich mach das schon”
Kommt ein Baby auf die Welt, gibt es für die Eltern viele große und kleine Aufgaben zu bewältigen: beruhigen und schmusen, waschen und Windeln wechseln, füttern und spielen. Das Aushandeln, wer was wann übernimmt, ist nicht immer leicht. Besonders kompliziert wird es jedoch, wenn sich eine Dynamik entwickelt, die den Vater eher außen vor lässt.
Irgendein kleines Spielzeug hat Hannes* für seinen Sohn immer parat, wenn es ans Wickeln geht. Denn der 18 Monate alte Ben langweilt sich auf der Wickelkommode schnell, dreht sich hin und her, zerrt an der Windel – und treibt seinem Vater so den Schweiß auf die Stirn. „Ohne Spielzeug wird das Windelwechseln schon mal stressig für mich“, sagt Hannes. „Aber bei mir ist das eigentlich genauso“, schiebt seine Frau Merle hinterher. Dass die beiden 32-jährigen Eltern ihre Schwierigkeiten voreinander offen zugeben, ist noch nicht lange selbstverständlich.
Niemand ist jeder Situation gewachsen
Fast das ganze erste Jahr nach Bens Geburt waren die Rollen klar verteilt: Merle demonstrierte Sicherheit im Umgang mit dem Baby und Hannes tat so, als ob er es bestimmt auch könnte – hätte er nur die Gelegenheit, es zu beweisen. „Aus meiner Perspektive war es so: Sobald ich den Kleinen auf dem Arm hatte, stand Merle neben mir und erinnerte mich daran, dass ich sein Köpfchen stützen müsste oder dass ein Arm abknickt. Beim Schmusen hieß es, Ben müsse besser Luft bekommen. Und wenn ich ihn wickelte, dauerte das Merle zu lange und sie wollte es lieber selbst machen“, erinnert sich Hannes. Schließlich übernahm Merle fast alle Aufgaben direkt und er stand daneben oder ging weg und beschäftigte sich mit anderen Dingen. Merle hingegen sagt: „Ich fand schon in der Schwangerschaft, dass sich Hannes zu wenig einbringt. Sein Leben lief ganz normal weiter, während ich mir Bücher besorgte und wissen wollte, was es heißt, ein Kind zu haben.“
Unsicher ohne positive Erfahrungen
Die erste ernste Krise gab es dann, als Hannes der Säugling beim Baden aus der Hand glitt. „Ben war ungefähr sechs Wochen alt. Ich habe ihn nicht richtig festgehalten und er tauchte komplett in den Badeeimer. Als ich panisch versuchte, ihn wieder zu schnappen, habe ich fast den ganzen Eimer, samt Kind, umgeschmissen“, sagt Hannes. Solche Dinge passieren nun einmal, finden beide heute. Damals verlor Merle viel Vertrauen in Hannes und seine Verlässlichkeit – und seine Unsicherheit wuchs. Zudem war ihr Eindruck, dass sich seine Nervosität auf das Baby übertrug. „Wenn Hannes nachts den schreienden Ben beruhigen wollte, wurde das Gebrüll meist noch lauter und irgendwann habe ich es halt versucht. Das klappte besser. Aber ich bin da noch nicht auf die Idee gekommen, dass Hannes auch nervös sein könnte, weil ich ihn und seine Beruhigungsversuche beobachtet und kommentiert habe“, sagt Merle.
Miteinander reden
Für Hannes war es zunehmend schmerzhaft, das eingespielte Mutter-Kind-Duo zu beobachten. „Ich fühlte mich immer häufiger wie das fünfte Rad am Wagen und hatte Angst, dass ich zu Ben auch später keine Beziehung würde aufbauen können“, sagt er. Schließlich stritten sich die jungen Eltern immer häufiger: Er warf ihr vor, sie klammere sich an das Kind und könne nicht loslassen. Sie hielt diese Vorwürfe für ein Ablenkmanöver, damit er sich um nichts kümmern brauche. Als eine gemeinsame Freundin nach vielen Monaten das Thema Paartherapie ansprach, dämmerte Hannes und Merle, dass sie langsam Unterstützung bräuchten.
Sie suchten sich Beratung und fanden einen Paarmediator. „Wir merkten schnell, dass alles davon abhängt, richtig miteinander zu reden. Irgendwie hatten wir zuvor den Zeitpunkt verpasst, unsere Wünsche und Interessen so klarzumachen, dass der andere versteht, was in einem vorgeht“, sagt Hannes. Im Laufe der Mediation übte das Paar, wohlwollend zuzuhören und sich in den Partner zu versetzen.
Hannes versuchte, sich wieder mehr einzubringen und auch mehr zuzutrauen, alle anstehenden Aufgaben zu übernehmen – auch wenn er zunächst unsicher war. Merle nahm sich selbst ein Stück zurück und ließ Vater und Sohn gemeinsam Erfahrungen machen. „Mit der Zeit wurde ich gelassener, wenn Hannes und Ben zusammen waren. Die Mediation half mir, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen und nicht zu glauben, dass ich irgendetwas korrigieren müsste“, sagt Merle.
Beide Eltern lernten, Vertrauen in Hannes’ Fähigkeiten als Vater zu entwickeln und ihm seine eigene Art zu lassen, mit dem Sohn umzugehen. „Ganz durch sind wir mit dem Thema zwar noch nicht“, sagt Hannes, „aber ich weiß jetzt, dass ich für Ben eine wichtige Rolle spiele, ihn trösten und füttern kann und er es genauso mag wie ich, wenn wir kuscheln.“
* Alle Namen geändert.